Die gesamte Studie kann unter www.fhsg.ch/kmu-spiegel herunterladen werden.
Wie schon im Jahr 2017 widmet sich der diesjährige KMU-Spiegel dem Thema «Digitalisierung». Es sei unbestritten, dass die Digitalisierung eines der wichtigsten und umfassendsten Themen sei, mit denen Unternehmen heute konfrontiert sind, begründen die Autoren das Wiederaufnehmen des Themas. Der KMU-Spiegel betrachtet die Entwicklung und formuliert konkrete Lösungsansätze für Herausforderungen, die sich aus der digitalen Transformation heraus ergeben. Die Autoren bezeichnen die Digitalisierung als einen Prozess der sowohl unausweichlich wie kontinuierlich sei. Oder wie dies der für die Studie interviewte Peter Kancsar von Milani formulierte: «Es gibt keinen Moment, in dem wir sagen können, wir haben es erreicht und wir können uns zurücklehnen. Wir verändern uns kontinuierlich und passen uns an.»
Die Digitalisierung führe zu grundlegenden Veränderungen, zum Beispiel in der Wettbewerbssituation von Organisationen, wenn Konkurrenten effizientere und innovative Geschäftskonzepte entwickeln, erklärt Prof. Dr. Rigo Tietz, Projektleiter des KMU-Spiegels und Leiter des Kompetenzzentrums Strategie und Management am Institut für Unternehmensführung IFU-FHS an der Fachhochschule St.Gallen und ergänzt: «Die Digitalisierung verändert grundlegend das Verhalten einzelner Personen und damit schlussendlich der ganzen Gesellschaft.»
Digitalisierung verstehen und glaubwürdig vorantreiben können
Es zeigt sich, dass es gerade die besondere Situation der KMU ist, welche diese zwingt, über neue und kreative Lösungen nachzudenken. Aufgrund der oft begrenzten Ressourcenausstattung gelten für KMU im Vergleich zu Grossunternehmen oft andere Grenzen und Möglichkeiten. Mit dem genauen Blick auf acht Unternehmen aus acht Branchen identifiziert der KMU-Spiegel «Best Practices», welche diese Unternehmen im Umgang mit der Digitalisierung entwickelt haben. Somit stellt die Studie nicht nur die Frage nach den Herausforderungen und den eigenen Lösungsansätzen, sondern beschreibt, was andere Unternehmen in der gleichen oder auch in einer anderen Branche von diesem Lösungsansatz lernen können.
Im Umgang mit Digitalisierung lässt sich gemäss Rigo Tietz feststellen, dass die Digitalisierung oft von operativen Herausforderungen verdrängt wird. Sie ist aber ein strategisches Thema, das die Geschäftsführung angemessen priorisieren und ausreichend Zeit dafür einplanen muss. Gemäss den Studienautoren braucht es in der Geschäftsführung von KMU, «digital affine» Personen, die das Thema Digitalisierung verstehen und glaubwürdig vorantreiben können. Diese können die positiven Aspekte der sich zwingend einstellenden Veränderung glaubhaft vorleben und damit Ängste der Mitarbeitenden abfangen. Ivo Steiner, Geschäftsführer Landi Zola AG untermauert diese Feststellung: «Wenn du als Geschäftsführer nicht dahinterstehst, es nicht mitträgst und dich nicht damit identifizieren kannst, dann funktioniert es sicher nicht.»
Digital näher zum Kunden und enger zusammenarbeiten
«Die Digitalisierung spielt weiterhin eine prägende Rolle. Insbesondere der Kundenkontakt muss heute zielführend, effizient aber dennoch individuell gestaltet werden. Die Nutzung neuer Technologien kann dazu beitragen, Prozessabläufe in der Interaktion mit den Kunden zu optimieren und so einen Mehrwert für den Kunden aber auch das eigene Unternehmen zu generieren» sagt Stefan Gerber, Partner, Leiter Beratung Zürich-Ostschweiz von BDO. Vor allem jungen Unternehmen und Start-ups gelingt es, ihr Geschäftsmodell und ihre Funktionsweise gezielt auf den neuen Technologien wie Robotik, Internet der Dinge, Blockchain oder künstliche Intelligenz aufzubauen. Etablierte Unternehmen tun sich teilweise eher schwer damit, solche neuen Technologien mit dem bestehenden Geschäft zu verknüpfen oder ganz neue Optionen anzustossen, so der Vergleich der Studienautoren. Automatisierung findet sich aber auch in traditionellen Branchen wie der Landwirtschaft: Auf dem Hof Hinterburg werden Roboter eingesetzt und Roman Moser und Adrian Haggenmacher bestätigen, dass durch die Abgabe von Aufgaben an Roboter zeitliche Freiräume geschafft werden – dies eine oft geäusserte Hoffnung oder oft erwähnter Nutzen der Digitalisierung.
Als weitere Chancen der Digitalisierung bezeichnen die interviewten Unternehmerinnen und Unternehmer Effizienzsteigerungen. Dabei könne die Verbesserung der Effizienz ganz unterschiedliche Aspekte umfassen, sagt Rigo Tietz. «Oftmals geht es um die Digitalisierung der Kundenschnittstelle, um beispielsweise den Bestellprozess zu beschleunigen oder Standardprodukte zu vertreiben.» Oder sogar Nischenprodukte, wie im Falle von Ergoswiss. Das Unternehmen produziert Hubsysteme für höhenverstellbare Industriearbeitsplätze. Diese vermarktet sie direkt und online bei möglichen Kunden, welche ohne Zwischenhändler direkt bei Ergoswiss und mittels einem automatisierten und dadurch effizienteren Bestellprozess die Produkte beziehen können. Selbst wenn digitale Tools die Interaktion mit dem Kunden verändern, die Zusammenarbeit erleichtern und somit die Kundenbeziehung intensivieren, erwähnen viele der befragten Unternehmerinnen und Unternehmer immer wieder, dass im Laufe der Digitalisierung die persönliche Kommunikation an Bedeutung gewinne, sei das nun auf der Baustelle wie bei Schlangenhauf oder auch im Hofladen. Dies bestätigt auch Stefan Gerber von BDO, der die persönliche Beratung weiterhin als wichtiger Bestandteil in der Kundenbeziehung sieht.
Jeder Schritt ins digitale Neuland ist ein Risiko
«Die Digitalisierung eröffnet nicht nur neue Chancen, sondern birgt auch gewisse Risiken. Unternehmer, die sich aktiv mit Cyber-Risiken, Datenschutz und vernetzter Wertschöpfung befassen, können die sich bietenden Chancen besser nutzen und werden nicht überrascht», erklärt Adrian Kollegger, Leiter Nicht-Leben Schweiz und Mitglied der Konzernleitung von Helvetia. Konkret werden von den porträtierten Unternehmen die Risiken Datensicherheit, Investitionsbedarf und Kompetenzen am häufigsten genannt. Bezüglich den einzelnen Risiken präzisiert Rigo Tietz: «Bei den Investitionen geht es nicht nur um die Investitionshöhe, die für KMU mit begrenzten finanziellen Ressourcen eine Herausforderung darstellen kann.» Vielmehr gebe es eine Vielzahl an digitalen Möglichkeiten. Die dadurch resultierende Gefahr formulierte Marco Zeller von der Bever Lodge im Engadin: Er nennt als Digitalisierungs-Risiken den Zeit- und Geldaufwand sowie die Verzettelung von Ressourcen. Man müsse nicht jeden Trend mitmachen, bestätigt auch Till Hornung, CEO der Kliniken Valens. Als Auswahlkriterium empfehlen die Studienautoren, dass der Einsatz einer neuen digitalen Technologie einen klar erkennbaren Mehrwert stiften muss. «Entweder wird der Kundennutzen deutlich erhöht oder Kosten spürbar gesenkt», benennt Rigo Tietz zwei Nutzenaspekte. Die plötzlich neu geforderten Kompetenzen und Fähigkeiten können bei der Belegschaft zu Verunsicherung und Ängsten um den eigenen Arbeitsplatz führen, eine Angst welche von Andreas Heuscher und Martin Keller von Ergoswiss explizit erwähnt werden.
Bereits 2017 stellten die Autoren der Studie fest, dass zwar alle Unternehmenstypen, -grössen und -branchen von der Digitalisierung betroffen sind, jedoch nicht zum gleichen Zeitpunkt und nicht im gleichen Ausmass. Heute lasse sich feststellen, dass einige Unternehmen im Prozess der Digitalisierung schon weiter sind, andere stehen eher noch am Anfang. Insbesondere viele KMU würden noch am Anfang der digitalen Reise stehen. «Nichts zu tun ist bedenklich» sagt Rigo Tietz und Rolf Schlagenhauf, Geschäftsführer der Rolf Schlagenhauf AG, einem Betrieb im Baunebengewerbe, unterstützt diese Aussage mit einer klaren Aufforderung: «Man muss einfach mal starten und den Schritt machen und nicht Angst haben». Sonst, so Rigo Tietz, bestehe die Gefahr, den Anschluss zu verpassen und es sei zentral, jetzt erste Erfahrungen zu sammeln. Er ergänzt: «Digitalisierung ist auch eine Reise ins Unbekannte. Doch diesem Abenteuer stehen heute die meisten Unternehmen gegenüber, sodass ein frühes Engagement zu Vorteilen im Wettbewerb führen kann.»
Da der Umgang und die Nutzung digitaler Technologien stark durch menschliches Verhalten beeinflusst wird, eignet sich die Fallstudienmethode besonders gut. Je nach KMU, abhängig von der Unternehmens-/Organisationsgrösse, wurden mindestens zwei Experteninterviews mit Vertretenden verschiedener Hierarchieebenen geführt, wobei mit einem Mitglied der Geschäftsleitung oder der Inhaberschaft in jedem Fall ein Interview geführt wurde. Zur Vervollständigung wurden weitere Informationsquellen wie Geschäftsberichte mit Techniken der Dokumentenanalyse ausgewertet.
Der KMU-Spiegel 2019 konnte dank der finanziellen Unterstützung und der inhaltlichen Begleitung von Helvetia Versicherungen und BDO Schweiz durchgeführt werden.